Wieder einmal geht es um die "Lebensakte" oder wie man vielleicht in Anlehnung an das MessEG sagen sollte: die "Verwendernachweise".
In einer eigenwilligen Auslegung der Gesetzesbegründung meint die PTB feststellen zu können, dass die Verwendernachweise lediglich für die Eichbehörden bestimmt seien. Dem ist das OLG Brandenburg nun in einer erfreulichen Entscheidung entgegen getreten.
Aber kurz zurück: Bereits Ende Mai diesen Jahres bezog die PTB Stellung in Bezug zur "Lebensakte" bzw. den Verwendernachweisen.
Darin erkennt sie zumindest die gesetzliche Verpflichtung des Führens dieser Nachweise – im Gegensatz zu vielen Behörden – nach §31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG an. Um herauszufinden, von wem diese Nachweise eingesehen werden dürfen, betreibt die PTB so dann „Gesetzesauslegung für Fortgeschrittene“. Nachdem sie wohl mit grammatikalischer, systematischer und teleologischer Auslegung zu keinem Ergebnis gekommen ist, entscheidet sie sich für die historische Auslegung, also nach dem Willen des Gesetzgebers.
Während allerdings nach überwiegender Meinung im Zweifelsfall nicht auf den Willen des Gesetzgebers abzustellen ist, tut die PTB – vermeintlich – genau dies und das wenig überzeugend.
Aus dem in der Gesetzesbegründung enthaltenen Satz
"Die Aufbewahrungsfrist auf den Abschluss der nächsten Eichung zu Beschränken ist angemessen, da die Eichbehörde dann die Möglichkeit hat, diese Unterlagen auszuwerten."
wird nach Auslegung durch die PTB: Die Nachweise sind nur für die Eichbehörden bestimmt.
Mit anderen Worten: Da also die Aufbewahrungsfrist für einen möglichen Einsichtsberechtigten Sinn macht, muss dieser der einzige Einsichtsberechtigte sein.
Für juristische Auslegung gibt es jedoch Spezialisten, nämlich Juristen. Und will man eine halbwegs verbindliche juristische Meinung, sollte man sich an ein Gericht wenden und vorzugsweise eine obergerichtliche Entscheidung suchen.
Genau eine solche ist kürzlich ergangen, nämlich am OLG Brandenburg (Beschl. v. 08.09.2016 – (2 B) 53 Ss-Owi 343/16 (163/16)).
Und das OLG Brandenburg führt zu den Nachweisen unmissverständlich aus:
"Mit der Verweigerung, diese Unterlagen der Verteidigung zugänglich zu machen, hat die Verwaltungsbehörde der Verteidigung die Möglichkeit genommen, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden (OLG Jena NJW 2016, 1457). Diesem Fehler der Behörde hätte das Amtsgericht abhelfen müssen, indem es der Verteidigung die bezeichneten Unterlagen zur Verfügung stellte."
Soweit zum ersten Widerspruch.
Weiterhin widerspricht die PTB sich inhaltlich selbst, wenn sie auf die Frage
"Was sagt denn die Lebensakte dann über die Messrichtigkeit aus, z. B. in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren?“
antwortet:
"Eigentlich gar nichts!“
Dem können nicht nur einfach Beispiele aus der Praxis entgegen gehalten werden. Vielmehr verweist die PTB dann auch noch in Ihrer Selbstdarstellung auf "ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem, welches die internationale Norm DIN EN ISO/IEC 17025 und damit die Prinzipien der ISO-9000-Serie erfüllt".
DIN EN ISO 10012:2003 fordert unter 6.2.3: Es müssen Aufzeichnungen mit Informationen, die für den Betrieb des Messmanagementsystems erforderlich sind, aufrechterhalten werden. In der darauf folgenden Anleitung definiert diese Norm den Umfang der aufzuzeichnenden Dokumente:
"Beispiele für Aufzeichnungen sind Ergebnisse von Bestätigungen, Messergebnisse, Kauf, Betriebsdaten, Fehlerdaten, Kundenbeschwerden, Schulung, Qualifizierung oder jegliche weitere Verlaufsdaten, die den Messprozess unterstützen."
Es wird also die Sinnhaftigkeit einer Fehlerdokumentation in Frage gestellt, während gleichzeitig mit Qualitätsansprüchen geworben wird, die gerade auch Fehlerdokumentationen umfassen.
Noch am Rande ein weiterer Widerspruch:
Während es in der Selbstdarstellung der PTB heißt:
"Die PTB beschränkt sich in ihrer Eigenschaft als technische Oberbehörde der Bundesrepublik Deutschland allein auf Aussagen zu technischen Sachverhalten,“
kann eine Gesetzesauslegung anhand der Gesetzesbegründung wohl keinesfalls mehr als technischer Sachverhalt bezeichnet werden.
Anstatt also mit der Stellungnahme zu einem besseren Ablauf im ganzen verkehrsmesstechnischen Verfahren beizutragen und Vermittlung zwischen den Verfahrensbeteiligten zu betreiben, schlägt die PTB sich (mal wieder) auf die Seite der Hersteller und Verwender von Messgeräten. Diese nehmen die Steilvorlage, wie sich vereinzelt in der Praxis zeigt, natürlich allzu gerne auf, um obergerichtliche Rechtsprechung zu ignorieren.
Antworten die sich aus der PTB-Stellungnahme ergeben?
Fragen, die offen bleiben?