02.09.2015
Zusätzliche Toleranz bei Geschwindigkeitsmessungen mit TraffiStar S330 notwendig?


TraffiStar S330 (kurz: S330) ist seit 2003 in Deutschland zugelassen und als standardisiertes Messverfahren anerkannt [1]. Seit 2003 bestehen Diskrepanzen zwischen den Zulassungsanforderungen und der Zulassung von S330. Es besteht die Gefahr, dass einem Betroffenen nicht der niedrigste Geschwindigkeitswert vorgeworfen wird, sondern ein bestimmter der drei gemessenen Geschwindigkeitswerte. Dieser kann auch der höchste sein. Die maximale Abweichung ist zunächst durch den Verkehrsfehler gegeben.

Kurz gefasst läuft eine Messung mit der S330 wie folgt ab:

fährt ein Fahrzeug über den Sensorbereich, so überfährt es nacheinander die Sensoren 1, 2 und 3, zwischen denen jeweils eine vorher festgelegte Wegstrecke liegt. Durch die Druckeinwirkung der Vorderräder auf die einzelnen Sensoren geht von jedem Sensor ein Spannungsimpuls aus. Die drei Spannungsimpulse werden vom Piezovorverstärker (IPV) empfangen und es wird der zeitliche Abstand, in dem die Spannungsimpulse aufeinander folgen gemessen. Im IPV sind die Wegstrecken zwischen den Sensoren hinterlegt. Auf diese Weise können aus den vorliegenden Weg- und den gemessenen Zeitinformationen insgesamt drei Geschwindigkeitswerte berechnet werden. Es erfolgt mithin eine Mehrfachmessung Geschwindigkeit.

Welcher der bei einer Mehrfachmessung bestimmten Geschwindigkeitswerte der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit am nächsten kommt, ist unbekannt. Von daher bieten sich zwei Ansätze für die Auswahl einer Geschwindigkeit:

  1. man nimmt einen Mittelwert. So ist sichergestellt, dass statistisch gesehen die Abweichung von der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit minimal ist. Diese Abweichung tritt aber in unbekanntem Maße in beide Richtungen auf, zu Gunsten und zu Ungunsten des Betroffenen. Die Minimierung der Abweichung ist die technisch-wissenschaftliche Zielsetzung.
  2. man nimmt immer den geringsten aller gemessenen Werte. So ist sichergestellt, dass auch die für den Betroffenen günstigen Umstände berücksichtigt sind (vgl. §24 VwVfG, §160 (2) StPO). Demnach ist immer der niedrigste aller gemessenen Werte zu nehmen, da auch dieser der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit am nächsten kommen kann. Dem ist auch die für die Zulassung von Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten zuständige Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) gefolgt, als sie 1988 die Zulassungsanforderungen an Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte formuliert hat, welche auch noch für die 2003 zugelassene S330 gelten [2]. Darin ist zu Mehrfachmessungen ausgeführt:
    Zitat Beginn
    Zur Erkennung der wesentlichsten Meßfehler bei Weg-Zeit-Meßgeräten, ist es erforderlich, Zweifachmessungen der Geschwindigkeit mit anschließendem Vergleich durchzuführen. (...) Durch diese Maßnahmen wird (...) das ungenaue Schalten einer Schranke ((...), Koaxial-Kabel) (...) erkannt. Die Ausgabe eines Meßwerts muß verhindert werden, wenn die Abweichung größer als die betriebliche Fehlergrenze ausfällt. Zur Anzeige soll immer das kleinere Meßergebnis gelangen.
    Zitat Ende
Zur Anzeige soll also immer das kleinere Messergebnis gelangen. In der aktuell geltenden 3. Neufassung der Anlage zur innerstaatlichen Bauartzulassung liest man zur Messwertbildung jedoch Folgendes:

Zitat Beginn
Aus diesen Zeitdifferenzen und den Abständen der Drucksensoren s12, s23 und s13 werden im IPV drei Geschwindigkeitsmesswerte v13, v13 und v13 (sic!) berechnet. Der Wert v13 wird dann als Geschwindigkeitsmesswert dokumentiert.
Zitat Ende

In der Bauartzulassung ist also festgelegt, dass von allen Messwerten immer ein bestimmter (Messwert auf der Strecke Sensor 1 bis Sensor 3 – v13) ausgewählt und angezeigt wird.

Der Messwert v13 ist mitnichten immer der geringste.

Der angezeigte Messwert kann auch der höchste der gemessenen Geschwindigkeitswerte sein. Es ist dann, wenn auch die für den Betroffenen günstigen Umstände betrachtet werden sollen, eine Abschätzung zu machen, um wie viel der geringste Wert kleiner sein kann als der angezeigte Wert, der als höchster Wert angenommen werden muss. Ein Blick auf den vorletzten Satz des ersten Zitats hilft hier weiter. Demnach muss die S330 bei Abweichungen von mehr als der betrieblichen Fehlergrenze zwischen den Einzelwerten annullieren, d.h. dann wenn der geringste und der höchste Wert um mehr als die Verkehrsfehlergrenze von 3 km/h, bzw. 3% voneinander abweichen.

Insofern ist, sofern wenigstens diese Vorgabe eingehalten wird, solange neben dem Verkehrsfehler ein zusätzlicher Fehler von 3 km/h, bzw. 3% anzusetzen und in Abzug zu bringen, bis nähere Angaben zur Messwertbildung oder anderen Annullierungskriterien vorliegen.

Diese Betrachtung wäre nicht notwendig, wenn von jeder Messung die Spannungssignale digitalisiert und in der Falldatei abgespeichert würden, wie es bei ES3.0 der Fall ist und bei XV3 der Fall war. Dann könnte auf der gleichen Grundlage, auf der der angezeigte Messwert berechnet worden ist, eine unabhängige Bewertung dieser Daten nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfolgen.

Literaturverzeichnis
[1] – OLG Jena, Beschluss vom 14. April 2008 - 1 Ss 281/07
[2] – PTB-A 18.11 PTB-Anforderungen an Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte, April 1988