Was seit Jahren von vielen Seiten immer wieder gefordert wird, hat nun auch der saarländische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil (Beschl. v. 27.04.2018, Az.: LV 1/18) unter Aufhebung des OLG Saarbrücken (Beschl. v. 25.10.2017, Az.: Ss RS 17/2017 (30/17 OWi) bestätigt.
Der Betroffene hat einen rechtsstaatlichen Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten.
Aber das Verfassungsgericht geht sogar weiter.
In seinem Urteil führt das Gericht eindeutig aus, dass die vielerorts übliche Praxis des "Einkaufens" von Token und Passwort bei der zuständigen Eichdirektion unrechtmäßig ist.
"Ein Verweis auf die hessische Eichdirektion durch die Stadt Saarbrücken [...] war insofern nicht zulässig, als die Gewährung von Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde und nicht ein am Verfahren nicht beteiligtes Eichamt zu erfolgen hat."
Im Sinne der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens muss die Behörde dem Betroffenen Einsicht in die unverschlüsselte Falldatei ermöglichen. Dazu gehört, z.B. im Falle von PoliScan Messgeräten, auch die Bereitstellung von Token und Passwort.
Die Tragweite des Urteils ist jedoch noch eine ganz andere.
Denn aus der Begründung geht eindeutig hervor, dass es dem Betroffenen ermöglicht werden muss, die Messung selbst überprüfen zu können. In vielen Verfahren ist eine solche Überprüfung aber gar nicht möglich, auch wenn Falldatei und Entschlüsselungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt würden. Denn bei den allermeisten Messgeräten werden die Rohmessdaten überhaupt nicht (z.B. Jenoptic TraffiStar S330/S350) bzw. nur bruchstückhaft und bereits verarbeitet (z.B. Vitronic PoliScan-Reihe, Leivtec XV3) in der Falldatei gespeichert. Legt man das Urteil also konsequent aus (und diese Auslegung propagiert die VUT seit Jahren), so werden verfassungsmäßig geschützte Rechte der Betroffenen verletzt, wenn eine nachträgliche Überprüfung des vorgeworfenen Messwertes nicht mehr möglich ist.
Die frühere PTB-Zulassung garantiert nämlich gerade nicht die hundertprozentige Richtigkeit eines Messwertes. Jedem technischen Laien ist vollkommen klar, dass eine solche Garantie nicht möglich ist und auch das Verfassungsgericht spricht diesbezüglich lediglich von einer "Richtigkeitsvermutung". Eine PTB-Zulassung führt also lediglich zu einer solchen Wahrscheinlichkeit für einen richtigen Messwert, dass die Beweislastumkehr des standardisierten Messverfahrens eingreift, die Gerichte von einer Richtigkeit ausgehen dürfen und dem Betroffenen der Gegenbeweis auferlegt wird.
Diesen kann er jedoch nur unter einer Voraussetzung erbringen: er kann die Rohmessdaten, also die Daten, die ein Messgerät bei der physischen Detektion eines Vorgangs erfasst, eigenständig und unabhängig auswerten lassen.
Genau so sieht es auch das Verfassungsgericht:
"Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden."
Das Verfassungsgericht bestätigt damit die Forderungen, die bereits auf den Verkehrsgerichtstagen 51 (dort AK IV) und 54 (dort AK V) formuliert wurden.