Das AG Bremen hat am 04.08.2014 einen vermeintlichen Verkehrssünder vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung rechtskräftig freigesprochen [1]. Das Interessante daran ist nicht nur die Seltenheit von Freisprüchen in diesem Bereich, sondern auch, dass das Gericht bzw. der Sachverständige praktisch 1:1 die Aussagen vom Verkehrskongress 2014 aufgreift: Es kann sich bei Vitronic Messgeräten nicht um ein standardisiertes Messverfahren handeln, da sich je nach Version der Auswertesoftware der Auswerterahmen als einziges Auswertekriterium ändern kann.
Kurz zusammengefasst die Kernproblematik:
Dies wurde beim Verkehrskongress 2014 ausführlich beleuchtet [2] und in mehreren Veröffentlichungen davor und danach weiter ausgeführt [3, 4, 5, 6, 7]
Das AG Bremen betrachtet die Problematik nun aus Sicht der Eichung:
Damit widerspricht das AG Bremen klar dem OLG Frankfurt am Main, das im Dezember 2014, also vier Monate später, ein Urteil des AG Friedberg aufhob und dabei die unterschiedliche Darstellung der Auswerterahmen als „rechtlich unbeachtlich“ bezeichnete [8, 9]. Darüber hinaus hat sich das OLG FFM selbst über einige technische Tatsachen hinweggesetzt [10].
Dem gegenüber sind die Aussagen des AG Bremen technisch nachvollziehbar. Lediglich der Forderung nach einer Softwareeichung bzw. der Auffassung, die Software des Messgeräts wäre geeicht, ist so nicht zu folgen: Einerseits ist völlig unklar, wie eine Software technisch geeicht werden soll. Andererseits, und das ist viel wichtiger, stellt sich aber die Frage, ob ein Messergebnis überhaupt in irgendeiner Form nachträglich von einer (geeichten oder nicht geeichten) Software verändert werden darf. Man stelle sich nur vor, durch die Verwendung einer neuen Software wäre bei demselben Fall auf einmal eine andere Geschwindigkeit zu sehen. Technisch gesehen besteht kein Unterschied zwischen Rahmen und Geschwindigkeit. Beides sind Daten, die von einer Software interpretiert und angezeigt werden.
Folgt man dem AG Bremen, finden aktuell sämtliche Messungen mit einem Messgerät der Firma Vitronic mit einer nicht geeichten, aber im Grunde genommen eichpflichtigen Komponente (Auswertesoftware) statt.
Literaturverzeichnis:
[1] AG Bremen; 04.08.2014; Urteil AZ: 88 OWi 640 Js 2905/14 (20/14)
[2] Hans-Peter Grün; Digitale Messtechnik im standardisierten Messverfahren – ist der Begriff des standardisierten Messverfahrens noch zeitgemäß? Diskussion am Beispiel ES 3.0 und Vitronic; Verkehrskongress 2014, Dokumentation des Verkehrskongress 2014
[3] Ralf Schäfer, Mathias Grün; Poliscan - (k)ein standardisiertes Messverfahren; VRR März 2014, S. 92ff
[4] Ralf Schäfer, Mathias Grün; Poliscan - (k)ein standardisiertes Messverfahren - Teil 2; VRR Juni 2014, S. 218ff
[5] Hans-Peter Grün, Michael Grün; Poliscanspeed – Teil 3: (K)Ein standardisiertes Messverfahren; VRR Oktober 2014, S. 369ff
[6] Ralf Schäfer, Mathias Grün; Poliscanspeed – Teil 4: (K)Ein standardisiertes Messverfahren; VRR Oktober 2014, S. 377ff
[7] Roland Bladt; PoliScanspeed im Viewer - cannot be used as evidence; DAR Oktober 2014, S. 604ff
[8] AG Friedberg; 11.08.2014; Urteil AZ: 45 a OWi - 205 Js 16236/14
[9] OLG Frankfurt am Main; 04.12.2014; Beschluss AZ: 2 Ss-OWi 1041/14
[10] VUT Verkehr; 11.02.2015; Stellungnahme zum OLG FFM, AZ 2 Ss-OWi 1041/14