08.03.2021
Gesetzesinitiative und BVerfG – Die Zukunft heißt Rohmessdaten


Nach den vieldiskutierten Gerichtsentscheidungen der jüngeren Vergangenheit steht in diesem Jahr eine weitere Entscheidung des BVerfG an.

Gleichzeitig hat die FDP-Bundestagsfraktion einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, nach dem die Notwendigkeit der Abspeicherung der Rohmessdaten kodifiziert werden soll.

Es ist zu erwarten, dass das BVerfG an seine Entscheidung aus Januar anknüpfen wird und der unsäglichen Diskussion um die Notwendigkeit und Geeignetheit von Rohmessdaten zur Überprüfung einer konkreten Einzelmessung ein für alle Mal ein Ende bereitet.

Dann kann man sich in Zukunft auch Gutachten von Wirtschaftskanzleien oder „Fachinformationen“ – wie die seit kurzem kursierende Stellungnahme eines Martin Rehm für den BVST – ersparen.

Die Darstellungen des Lobbyvereins BVST verstecken ihre Unwissenschaftlichkeit unter dem Deckmantel der „besseren Verständlichkeit“ und stellen einmal mehr den verzweifelten Versuch dar, bereits bewiesene und im Übrigen absolute denklogische Zusammenhänge zwischen Rohmessdaten und Überprüfbarkeit von Messergebnissen zu konterkarieren.

In unserer Stellungnahme setzen wir uns mit der „Fachinformation“ in aller Ausführlichkeit auseinander.

An dieser Stelle nur in in aller Kürze:

Die Messwertbildung einer „Geschwindigkeitsmessung“ * besteht aus drei Schritten:

Das was nach der Datenerhebung im Messgerät vorhanden ist, nennen wir Rohmessdaten **. Der absolut entscheidende Schritt schließt sich an die Erhebung dieser Rohmessdaten an, nämlich die Datenselektion, das heißt, die Auswahl der Daten, die in die Berechnung einfließen. (Eine solche Auswahl muss stattfinden, denn es müssen viele „unnötige“ Daten, wie Störsignale etc. von der Geschwindigkeitsberechnung ausgenommen werden.)

Erst nach dieser Datenselektion erfolgt die Berechnung des Geschwindigkeitsmesswertes.

Die vielzitierte PTB-Zulassungsprüfung umfasst (nach eigener Aussage der PTB) nur den Gesamtvorgang dieser drei Einzelschritte. Die PTB „prüft“, ob der vom Prüfling ermittelte Wert einer Fahrzeugvorbeifahrt dem eines Referenzgerätes entspricht.

Die „Fachinformation“ des BVST, wie im Übrigen alle Vertreter der Position „Rohmessdaten braucht man nicht“, ignorieren den Schritt der Datenselektion. Keine PTB-Stellungnahme, kein Gerichtsurteil, keine Herstellereinlassung und keine „Fachinformation“ geht je auf diesen wichtigsten Schritt ein. Wenn sie von Rohmessdaten sprechen, meinen sie immer die selektierten Daten, die der Berechnung zu Grunde liegen, also das Ergebnis von Schritt 2. Das Ergebnis von Schritt 1 (und zwar nach Analog-Digital-Wandlung) wird dann mit allem möglichen bezeichnet: Hilfsdaten, Simulationsdaten ect. Außerdem wird diesen Daten jegliche Relevanz abgesprochen.

Warum? Weil es die gesamte Argumentation der Gegenseite wie ein Kartenhaus einstürzen ließe. Denn dann müsste man zugeben, dass die geforderten Rohmessdaten genau die Grundlage der Messwertermittlung des Messgeräts sind. Sie können nicht irrelevant sein, sind sie doch selbst Grundlage des „geeichten Messwertes“.

Alle übrigen Einlassungen, egal ob es um Befundprüfungen oder die Leistungsfähigkeit der Justiz geht, sind Nebelkerzen und längst ausführlich widerlegt (zu Befundprüfungen: Befragung der PTB vor dem VerfGH Saarland Urteil, zur Leistungsfähigkeit der Justiz: vgl BVerfG Urteil).

Und weil die Gegenseite nicht müde wird, unsäglichste Vergleiche zur (angeblichen Nicht-) Notwendigkeit von Rohmessdaten heranzuziehen (egal ob Verkaufswaagen, Wasserzähler oder der in Bayern immer gern genommene Biermaßkrug), hier anhand des Biermaßkrugs, was wirklich in der Geschwindigkeitsmessung passiert, wenn Rohmessdaten unterdrückt werden:

Der Krug ist auf einen Liter geeicht, daran bestehen keine Zweifel. Die Behörde nimmt den Krug, stellt ihn in einem Raum ohne Fenster auf einen Tisch. Macht die Tür zu und das Licht aus. Gießt Bier in den Krug, kippt ihn dann wieder aus und wischt Tisch und Bierkrug trocken. Dann schaltet sie das Licht ein und sagt: „Da war gerade eben genau ein Liter Bier drin. Muss auch so sein, sieht man ja am Eichstrich.“

Die nachträgliche Befundprüfung würde im Übrigen auch nur genau das bestätigen: in den Krug passt ein Liter Bier rein. Wie soll das bei der Frage helfen, ob kurz zuvor da wirklich auch ein Liter Bier drin war?

 

* eine Geschwindigkeit kann man nicht messen, nur berechnen: Weg / Zeit = Geschwindigkeit

**Rohmessdaten sind die Daten, die die Hardwaresensoren eines Messgeräts bei der physischen Detektion eines Messvorgangs generieren und die nach der nur technisch notwendige Filtervorgänge umfassenden Analog-Digital-Wandlung die unselektierte, ungefilterte oder anderweitig veränderte, allenfalls durch Metadaten erweiterte, Grundlage der weiteren Verarbeitung des Messgeräts bilden. Ein Messvorgang ist dabei der Zeitraum zwischen Einfahrt in und Ausfahrt aus dem Erfassungsbereich des Messgeräts durch ein Messobjekt.