10.08.2021
Leivtec XV3 – Die Chronik des Scheiterns


Mittlerweile ist festzustellen, dass es auch bei Gericht herrschende Meinung ist: das Messgerät XV3 der Firma Leivtec ist kein standardisiertes Messverfahren.

Wie konnte es dazu kommen, dass trotz noch vorhandener Unterstützung durch die PTB der Gerätehersteller nun die Segel streicht und eines der meist eingesetzten Messgeräte Deutschlands damit vom Markt verschwinden wird?

Dieser Weg wurde eingeläutet mit Einführung der Softwareversion 2.0 und der damit einhergehenden Löschung der bis dahin vorhandenen Rohmessdaten im Jahre 2015.

Die vielen sich daran anschließenden Diskussionen, klammern wir hier zunächst einmal aus, es kam jedoch, was von Sachverständigenseite von Beginn an vermutet wurde: der Nachweis von Fehlmessungen außerhalb der Verkehrsfehlergrenzen.

Sachverständigen aus dem Kreis der argueMint (heute iQvmt) gelang es in zwei Versuchsreihen im Herbst 2020 diese Fehlmessungen bei alltäglichem Versuchsaufbau regelmäßig zu produzieren. Infolge der Publikation der Ergebnisse dieser Versuchsreihen teilte die PTB zunächst am 27.10.2020 mit, dass die Abweichungen noch nicht reproduziert werden konnten. Anschließend wurde seitens PTB und des Herstellers versucht den aufgedeckten Fehlerquellen anhand neuer Auswertekriterien der Messungen beizukommen. Aber auch hier stellte sich heraus, dass diese Auswertekriterien nicht geeignet waren, Fehlmessungen zu vermeiden.

Derweil wurden die Ergebnisse der Untersuchungen der iQvmt von einer weiteren Versuchsreihe, durchgeführt von Sachverständigen der Dekra, gestützt.

Nach Monaten des Abwartens und Schweigens kam es dann im März 2021 zu einer Kontaktaufnahme des Geräteherstellers mit seiner Kundschaft. Die Verwender wurden aufgefordert, bis auf weiteres, von amtlichen Messungen mit dem XV3 abzusehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde absolut deutlich, dass sowohl Hersteller als auch PTB die möglichen Fehlmessungen auch im täglichen Einsatz als realistisch ansahen. 

Auch die OLGe in Saarbrücken  und Oldenburg schlossen sich dieser Einschätzung an.

Am 01.04.2021 (nein, es war kein Aprilscherz) teilte dann die PTB mit, dass, nachdem Messfehler bekannt geworden seien, eine „Abstimmung […] mit den hierfür zuständigen Stellen“ erfolgen würde, also erst 5 (!) Monate nachdem die PTB von den Messfehlern Kenntnis erhalten hatte. Die Abstimmung über das weitere Vorgehen werde bis voraussichtlich Ende Juni dauern.

Der Leidensdruck des Herstellers schien in der Zwischenzeit so weit angestiegen zu sein, dass am 21.04.2021 ein weiteres Schreiben an die Kunden herausgegeben wurde (liegt hier vor), das auf § 62 (2) S. 1 MessEG hinwies, wonach

„bei Messgeräten (wie den unseren), deren Bauart bis zum 31. Dezember 2014 nach § 16 der Eichordnung in der bis dahin geltenden Fassung zugelassen worden ist, vorbehaltlich des Satzes 2 bis zum Ende der Wirksamkeit der Zulassung, spätestens bis zum 31. Dezember 2024 unwiderleglich davon ausgegangen wird, dass die Bauart die für diese Messgeräte geltenden wesentlichen Anforderungen des § 6 Absatz 2 MessEG einhält“


Mit anderen Worten: Völlig egal, ob Messgeräte falsch messen. Zugelassen ist zugelassen und es kann auch dann gemessen werden, wenn unter gewöhnlichen Einsatzbedingungen Messfehler nachgewiesen worden sind.

Bereits Anfang Juni veröffentlichte die PTB dann ihren „Abschlussstand“. Dieser listete einige Bedingungen auf, unter denen durch die PTB Fehler beobachtet worden seien. Diese Liste konnte schon deshalb nicht als abschließend akzeptiert werden, da mangels Rohmessdaten die Ursache der Abweichungen nach wie vor nicht bestimmt werden kann.

Was der „Abschlussstand“ weiterhin vermissen ließ, war eine klare Folgerung und Konsequenz aus den erlangten Erkenntnissen.

Diese Konsequenz zog aber dann der Hersteller, als er in einem Schreiben vom 05.07.2021 nicht nur verkündete, die Entwicklung des Nachfolgegerätes XV4 einzustellen, sondern auch keine weiteren Nachbesserungen oder Änderungen am XV3 mehr durchführen zu wollen.

Die jüngsten Veränderungen auf der Homepage des Geräteherstellers lassen dann nur einen Schluss zu: Die endgültige Aufgabe der Geschäftstätigkeit und der Rückzug aus dem Bereich der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung in Deutschland.

Eine Umfrage der iQvmt hat unterdessen ergeben, dass die allermeisten Länderministerien an ihre Behörden die Weisung herausgegeben haben, die Messungen mit XV3 einzustellen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Behörden diesem Appell folgen werden, denn eine amtliche Verkehrsüberwachung im Rahmen des standardisierten Messverfahrens mit all seinen Folgen für den Betroffenen (v. a. der Obliegenheit zum Führen des Unschuldsbeweises) kann nur mit Geräten erfolgen, die dem Betroffenen eben auch genau diese Beweisführung überhaupt ermöglichen.

Was fehlte dem XV3, um diese Anforderungen zu erfüllen? Die Abspeicherung von Rohmessdaten.

Einem Downgrade auf die – formal immer noch zugelassene – Softwareversion 1.0, in der bei jeder Einzelmessung auch die Rohmessdaten abgespeichert würden, erteilte die PTB eine Absage. „Eigenartig“, wenn man sich die ursprüngliche Begründung für den Wechsel auf die Softwareversion 2.0 anschaut. So heißt es im 1. Nachtrag zur 1. Neufassung: 

„Mit Inkrafttreten dieses Nachtrags wird die Programmversion 2.0 der Rechnereinheit zugelassen. Diese unterscheidet sich von der bisher zugelassenen Version insbesondere durch einen höheren Bedienkomfort. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist auf Wunsch des Zulassungsinhabers im Rahmen der Nächsten Eichung auf die Programmversion 2.0 umzurüsten.“

Es ist für den Außenstehenden schwer vermittelbar, dass der Wunsch nach höherem Bedienkomfort schwerer gewogen haben soll als die Abwendung des wirtschaftlichen Niedergangs – und welche Motivation die PTB hatte, ihren Wunsch noch höher anzusiedeln.

Unmissverständlich muss an dieser Stelle jedoch auch klargestellt werden: es muss von Seite der Sachverständigen davon ausgegangen werden, dass auch alle anderen im Einsatz befindlichen Messgeräte in Deutschland unter bestimmten Umständen (und zumindest in Einzelfällen) Fehlmessungen außerhalb der Verkehrsfehlergrenzen produzieren können. Auch bei diesen Geräten ist daher die Abspeicherungen aller Rohmessdaten zwingend notwendig um den Anforderungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu genügen.