08.08.2023
Bundesverfassungsgericht und seine (Nicht-)Entscheidung zu Rohmessdaten


Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

So könnte man wohl die jüngsten Beschlüsse des BVerfG kommentieren (es waren tatsächlich mehrere, nämlich BVerfG Beschl. v. 20.06.23, Az.: 2 BvR 1167/20, BVerfG Beschl. v. 21.06.23, Az.: 2 BvR 1090/21 und 2 BvR 1082/21), die sich mit der Frage beschäftigten, ob denn nun nur solche Messgeräte für amtliche Verkehrsüberwachung eingesetzt werden dürfen, die Rohmessdaten vorhalten.

An den Entscheidungen sind mehrere Umstände höchst bedauerlich, doch das Wichtigste gleich vorweg:

Das BVerfG hat (trotz anderslautender Kommentierungen der Beschlüsse) gerade nicht darüber entschieden, ob denn nun Rohmessdaten abgespeichert und zugänglich gemacht werden müssen.

Es hat die Verfahren wegen Problemen in der Zulässigkeit gar nicht zur Entscheidung in der Sache angenommen.

Dass diese Prüfungen nun fast drei Jahre Zeit in Anspruch genommen haben, ist ebenso unverständlich wie bedauerlich.

Insbesondere, da das BverfG in der künftigen Rechtsprechungspraxis wohl so interpretiert werden wird, als dass das es die Beschwerden für unbegründet hielte.

Das BVerfG wirft den Beschwerdeführern im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung vor, sich teilweise nicht richtig mit den bereits ergangenen Urteilen aus gleichem Hause befasst, und die dort entschiedenen Grundsätze weiterentwickelt zu haben.

Gleichzeitig führt es aber in einer Art von obiter dictum aus, dass über die Bedeutung der Rohmessdaten ohnehin Unsicherheit bestünde und verweist auf den (vermeintlichen!) Sachverständigendissens vor dem Saarländischen Verfassungsgerichtshof an. Nun waren wir bei dieser Verhandlung zufällig anwesend und können konstatieren, dass es genau zu dieser Frage in der Verhandlung eben keinen nachhaltigen und begründeten Dissens gab, wie auch eine gründliche Lektüre des Beschluss des VGH Saarland offenbart (Beschl. v. 05.07.2019, Az.: Lv 7/17).

Denn dort heißt es:

Vorhandene Rohmessdaten erlaubten zugleich, mögliche Irregularitäten einer konkreten Messung zu erkennen. Der Sachverständige Dr. Ratschko [der PTB] ist dem nicht entgegengetreten.

Hervorhebung und Hinweis nachträglich durch den Verfasser eingefügt.

Vielmehr hat sich der PTB Vertreter – wie auch jede andere Veröffentlichung aus »dieser Ecke« – darauf beschränkt, Behauptungen aufzustellen, und eine Diskussion in der Sache zu vermeiden.

Es bleibt also bedauerlicherweise nur festzustellen, dass die Nebelkerzenstrategie von Herstellern und PTB auch beim BVerfG Früchte trägt.

Aus wissenschaftlicher Sicht besteht indes Überhaupt kein Zweifel daran, dass Rohmessdaten zur Überprüfung einer Messung geeignet sind.

Leider fällt auch das BVerfG darauf herein, was in der Diskussion das Hauptargumentationsmittel von PTB und Herstellern ist und bleibt, um Verwirrung zu stiften: Die Unklarheit darüber, welche Daten denn nun gemeint sind, wenn man von Rohmessdaten spricht.

Dabei hatte der Beschwerdeführer im Verfahren sogar eine (korrekte) Definition von Rohmessdaten aufgenommen.

Um es einfach und deutlich zu machen:

Jede Geschwindigkeits»messung« mit einem in Deutschland eingesetzten Messgerät kann man heutzutage in die gleichen drei Schritte einteilen:

  1. Datenerfassung

  2. Datenselektion

  3. Geschwindigkeitsberechnung

Dass es vor der eigentlichen Berechnung zu einer Selektion kommt, ist dabei nicht nur unstreitig und auch in Einzelfällen sogar von PTB und Hersteller (zumindest konkludent) eingestanden worden, sondern tatsächlich auch technisch absolut sinnvoll.

PTB und Hersteller verschweigen diesen Schritt aber so weit sie können, und versuchen mit einer uneinheitlichen Begriffsverwendung maximale Verwirrung um ihn zu stiften.

Nach der Datenerfassung liegt die größtmögliche Menge an Daten (zumindest für einen juristisch und tatsächlich feststellbaren Moment) im Messgerät vor. Diese Gesamtheit von Daten stellt die Rohmessdaten dar. Schon begrifflich (»roh«) kann es nur um diesen Datenblock gehen.

Aus diesen Daten wird ein gewisser Teil selektiert, den man für die Berechnung eines Geschwindigkeitswertes benötigt (2. Schritt: Datenselektion).

Alle Begründungen und Ausführungen von PTB und Herstellern – und Lobbyvereinen, die sich überwiegend aus diesen Kreis rekrutieren wie des BVST – warum man Rohmessdaten nicht braucht, beziehen sich ausschließlich auf das Ergebnis dieser Datenselektion. Aber diese (selektierten) Daten sind nicht die Rohmessdaten.

Der Schritt der Geschwindigkeitsberechnung ist ein eher unproblematischer. Aber die Auswahl der geeigneten Daten für die Berechnung, also eben Schritt 2, die Datenselektion, ist ein sehr individueller und damit komplizierter. Und eine eventuelle Behauptung, man könne eine solche Selektion nur auf genau eine Art durchführen, ist entweder eine an Dreistigkeit nicht zu überbietende Lüge oder zeugt von absoluter Abwesenheit jeden technischen Sachverstands.

Es ist also nicht nur so, dass Rohmessdaten dafür geeignet sind, einen Geschwindigkeitswert zu überprüfen.

Eine Überprüfung eines Geschwindigkeitswerts aus einem Messgerät kann nur anhand von Rohmessdaten durchgeführt werden.