24.06.2021
Der Abschlussstand der PTB – Das Ende des XV3?


Die PTB hat ihren Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim XV3 veröffentlicht und nun ist eindeutig klar: dieses Messgerät darf im amtlichen Betrieb nicht mehr eingesetzt werden.

Aber der Reihe nach:

Messungen mit Geräten der Bauart XV3 stehen seit 2017 in der Kritik. Zunächst erschien die elektromagnetische Verträglichkeit nicht sichergestellt.

Seit einer Versuchsreihe des IQVMT am 07.10.2020 steht außerdem fest, dass unter regulären, d. h. der Gebrauchsanweisung entsprechenden Bedingungen, systematisch Messfehler auftreten.

Daher musste die PTB den Hersteller nach § 19 (3) MessEG auffordern, „angemessene Korrekturmaßnahmen“ zu ergreifen. Falls nötig hätte demnach die Zulassung auch ausgesetzt oder zurückgezogen werden können.

Der Hersteller veröffentlichte daraufhin eine neue Gebrauchsanweisung mit verschärften Auswertekriterien.

Durch eine weitere Versuchsreihe, diesmal der Dekra, wurde festgestellt, dass auch unter den verschärften Auswertevorschriften systematisch Messfehler auftreten können.*

Als Reaktion darauf hat der Hersteller seine Kunden dazu aufgefordert ihre Messgeräte nicht mehr einzusetzen.

Auch die OLG Saarbrücken und Oldenburg folgten dieser Linie und stellten Verfahren, die auf Messungen von Geräten des Typs XV3 beruhten, ein.

Am 01.04.2021 (kein Aprilscherz!) teilte dann die PTB mit, dass, nachdem Messfehler bekannt geworden seien, eine „Abstimmung […] mit den hierfür zuständigen Stellen“ erfolgen würde, also erst 5 (!) Monate nachdem die PTB von den Messfehlern Kenntnis erhalten hatte. Die Abstimmung über das weitere Vorgehen werde bis voraussichtlich Ende Juni dauern.

Der Leidensdruck des Herstellers schien in der Zwischenzeit so weit angestiegen zu sein, dass am 21.04.2021 ein weiteres Schreiben an die Kunden herausgegeben wurde (liegt hier vor), das auf § 62 (2) S. 1 MessEG hinweist, wonach

„bei Messgeräten (wie den unseren), deren Bauart bis zum 31. Dezember 2014 nach § 16 der Eichordnung in der bis dahin geltenden Fassung zugelassen worden ist, vorbehaltlich des Satzes 2 bis zum Ende der Wirksamkeit der Zulassung, spätestens bis zum 31. Dezember 2024 unwiderleglich davon ausgegangen wird, dass die Bauart die für diese Messgeräte geltenden wesentlichen Anforderungen des § 6 Absatz 2 MessEG einhält“
 

Mit anderen Worten: Es scheint völlig egal, ob Messgeräte falsch messen können. Zugelassen ist zugelassen und es kann auch dann gemessen werden, wenn unter gewöhnlichen Einsatzbedingungen Messfehler nachgewiesen worden sind.

Das heißt, dass die Übergangsregelungen des MessEG den Fall eines nachträglich als fehlerhaft erkannten Messgerätes nicht vorsehen und deshalb keine entsprechenden Mechanismen enthalten sind.

Als Messtechniker stellt man sich die Frage, wie man bei der Abfassung eines Gesetzes auf die Idee einer unwiderleglichen Gültigkeit einer Zulassung kommen kann, so als ob die technische Korrektheit der Arbeit eines (Mess-)Gerätes einmal festgestellt und dann per Gesetz definiert werden könnte.

Bedenkt man, dass ein Unternehmer als Messgerätehersteller nach dem MessEG mehr Eigenverantwortung im Konformitätsverfahren zu tragen hat (die amtliche Zulassungsstelle existiert zudem nicht mehr), so ist im Umgang des Rechtsstaates mit solchen Messgeräten und Herstellern künftig ein durchaus kritischeres Verhalten zu fordern.

Jedenfalls darf Glaubwürdigkeit eine unabhängige technische Prüfung nicht ersetzen.

Im vorliegenden Fall hat der Hersteller sich durch sein eigenes Verhalten, nämlich durch das Vernichten der Rohmessdaten mit Einführung der aktuellen Softwareversion 2.0, in diese missliche Lage gebracht.

Wären die Rohmessdaten, wie vor 2015, noch vorhanden, dann könnten Messwertverfälschungen analysiert und die Ursache behoben werden. Die Korrektheit der Messwerte könnte geprüft und sicher häufig auch belegt werden.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, in der ein Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu den Rohmessdaten zur eigenständigen Überprüfung des Messergebnisses formuliert ist.

Aus technischer Sicht ist es aber ebenso wichtig darauf hinzuweisen, dass dies nicht nur eine Möglichkeit zur Entlastung eines Betroffenen darstellt, sondern ebenso auch die Möglichkeit Messungen im Einzelfall noch zu verifizieren, auch wenn das Messgerät, wie hier, als fehlerhaft erkannt wird oder gegen Vorgaben zur Nutzung verstoßen wurde.

Am 09.06.2021 hat die PTB einen „Abschlussstand“ publiziert. Dieser listet einige Bedingungen auf, unter denen durch die PTB Fehler beobachtet wurden. Diese Liste kann schon deshalb nicht als abschließend akzeptiert werden, da mangels Rohmessdaten die Ursache der Abweichungen nicht bestimmt werden kann.

Was der „Abschlussstand“ weiterhin vermissen lässt, ist eine Folgerung aus diesen Erkenntnissen.

Was bei der Aufzählung der PTB offensichtlich wird, ist dass Messgeräte der Bauart XV3, selbst wenn man die Vollständigkeit dieser Aufzählung unterstellen würde, nur unter sehr starken Einschränkungen zuverlässige Werte liefern würden.

Beispielsweise müsste auch beim Startbild jeweils das vordere Kennzeichen vollständig erkennbar sein, was Messungen in der Dunkelheit praktisch ausschließt, wobei hier alleine auf das Kennzeichen abzustellen technisch nicht korrekt ist. Das Gerät reagiert schlicht auf den stärksten Reflektor im Erfassungsbereich. Dies ist häufig das Kennzeichen, es kann aber ebenso gut auch ein anderer Reflektor sein. Dies ist ein Punkt, der gerade auch bei LKW sehr problematisch sein kann.

Was folgt nun daraus konkret für XV3?

 

Nach der übereinstimmenden Bewertung der Sachverständigen der VUT ist dieses Messgerät bis zu einer eventuellen Neuzulassung in Form der Baumusterprüfung eines neuen Softwarestands nicht mehr eichfähig und kann deshalb auch nicht mehr für amtliche Messungen verwendet werden.

Eine Meinung der PTB zu dieser Frage konnte dem vorliegenden Schriftverkehr leider nicht entnommen werden, ist aber bereits explizit angefragt worden. Folgende Formulierung im Abschlusstand lässt jedoch erahnen, wie die Antwort der PTB auf die Anfrage ausfallen wird:

"Selbst mit speziell präparierten Fahrzeugen bedurfte es weit über tausend Durchfahrten, um eine Kombination aus Fahrzeugpräparation und darauf abgestimmten Aufstellbedingungen und Fahrgeschwindigkeit zu finden, bei der manchmal unzulässige Messwertabweichungen beobachtet werden konnten."
Hervorhebung nachträglich eingefügt

Lässt man dieses verwässernde Drumherum im Abschlusstand der PTB weg, dann hat die PTB nachgewiesen, dass das Messgerät XV3 unter bestimmten Voraussetzungen im Feldbetrieb die Verkehrsfehlergrenzen nicht einhält.

Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind eindeutig:

 

Wie dieser Fall erneut zeigt, ist das Abspeichern der Rohmessdaten durch dieses und alle anderen Messgeräte unabdingbar, damit Sachverständige und auch die PTB, in der Lage sind Messungen im Feld nachträglich zu prüfen.

 

*M. Kugele, T. Gut, L. Hähnle, Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021