Immer wieder werden wir mit Vorwürfen konfrontiert, unwissenschaftlich oder unseriös zu arbeiten. Während diese Vorwürfe häufig von Seiten der PTB, der Gerätehersteller oder auch von Gerichten und Behörden kommen, mehren sich diese Vorwürfe auch aus der Kollegenschaft.
Woher kommt das und arbeiten wir tatsächlich unseriös?
Vor etwa einem halben Jahr haben wir unsere Studie zu Rohmessdaten veröffentlicht, mit dem erschütternden Ergebnis, dass ca. jede dritte Messung mit einem ES3.0 eine Abweichung von mindestens 1 km/h aufweist.
Während andere Sachverständige (ohne überhaupt auf Studienaufbau oder konkrete Ergebnisse einzugehen) die Studie gänzlich für unseriös halten, akzeptieren andere zwar, was wir herausgefunden haben, sprechen dem aber die Relevanz ab.
Und hier gelangen wir zu einem fundamentalen Unterschied in der Arbeitsweise zwischen uns und den (meisten) anderen Sachverständigen im verkehrsrechtlichen OWi–Bereich.
Und damit auch zur Antwort auf die eingangs gestellte Frage.
Andere Sachverständige „überprüfen“ oder „plausibilisieren“ den vom Messgerät vorgeworfenen Geschwindigkeitsmesswert.
Das heißt, dass sie nach konkreten Hinweisen suchen, die diesen Wert in Zweifel ziehen könnten. Einen solchen werden sie aber in aller Regel nicht finden (können). Stichwort: fehlende Rohmessdaten.
Sie sind in dieser Arbeitsweise so verstrickt, dass sie selbst in den Messverfahren danach vorgehen, in denen Rohmessdaten (oder eine vergleichbare Datenbasis) doch einmal vorhanden sind. Z.B. beim ES3.0 oder wenn etwa eine Videoaufzeichnung vorliegt.
Diese Denkweise, „nach Hinweisen auf Fehler“ zu suchen, führt dann zu so verqueren Statements wie „Abweichungen von 1 km/h interessieren so sehr wie ein umgefallener Sack Reis in China“, denn eine so geringfügige Abweichung sei ja von der Verkehrsfehlergrenze gedeckt.
Ist sie aber gerade nicht!
Schaut man sich das Beispiel Provida–Messungen an, hat man schnell eine Analogie nebst Begründung.
Bei Provida–Messungen stellt die Videoaufzeichnung das Rohmessdaten–Äquivalent dar.
Bisweilen unterläuft den Auswertebeamten ein Fehler in der Auswertung der Messung. In den seltensten Fällen „rechnen“ sie dabei falsch, sondern sie wählen (z.B.) den falschen Zeitpunkt für Start oder Ende der Messung.
Der Fehler liegt also in der Datenselektion.
Je nach Fallkonstellation kommt kein Sachverständiger auf die Idee, einen solchen Auswertefehler als von der Verkehrsfehlergrenze abgedeckt anzusehen.
Nein, jeder uns bekannte Sachverständige nimmt eine eigene (!) individuelle Auswertung der „Rohmessdaten“ vor, kommt zu einem eigenen Geschwindigkeitswert und zieht von diesem die Verkehrsfehlergrenze ab.
Was unterscheidet andere Messgeräte von dieser Herangehensweise?
Für VUT: Nichts.
Liegen Rohmessdaten vor, so berechnen wir auf der gleichen Basis wie das Messgerät einen eigenen Geschwindigkeitswert (analog zur individuellen Auswertung bei Provida–Messungen).
„Berechnen“ und „Auswerten“ gliedern sich in diesem Zusammenhang in die gleichen entscheidenden zwei Schritte:
die Auswahl der Daten, die in die Berechnung einfließen soll
die eigentliche Berechnung
Es ist die erstgenannte Auswahl der Daten, die in die Berechnung einfließen soll, die zu entscheidenden Unterschieden in den errechneten Geschwindigkeitswerten führt (man denke an den Provida–Auswerter, der den falschen Frame als Grundlage seiner Berechnung wählt).
Die erschütternde ES3.0 Studie ist Ergebnis einer solchen individuellen Datenselektion.
Warum genau zählt also jedes einzelne km/h Abweichung?
Findet ein anderer Sachverständiger (und manch einer gesteht auf Nachfrage, noch nie eine Abweichung gefunden zu haben) eine Abweichung von 1 km/h, so herrscht häufig (leider in Folge auch bei vielen Gerichten) die Denke, dieser Fehler sei irrelevant, da ja von der Verkehrsfehlergrenze noch gedeckt.
Beispiel: Ein Fahrzeug wird in einer 50er Zone mit einem Geschwindigkeitswert von 84,01 km/h gemessen. Abgerundet 84 km/h. Nun zieht man die Verkehrsfehlergrenze (3 km/h bei Geschwindigkeiten < 100 km/h) ab, es bleiben 81 km/h, mithin eine vorwerfbare Überschreitung von 31 km/h (und ein drohendes Fahrverbot).
Zum Glück wurde das Fahrzeug mit einem ES3.0 gemessen und die Rohmessdaten liegen vor.
Wir bei VUT führen nun eine Begutachtung durch, selektieren die auszuwertenden Rohmessdaten individuell (und nicht automatisch und absolut verkürzt wie das Gerät) und gelangen zu einem errechneten Geschwindigkeitswert von 83,99 km/h. Abgerundet 83 km/h. Nun zieht man die Verkehrsfehlergrenze ab, es bleiben 80 km/h, mithin eine vorwerfbare Überschreitung von 30 km/h.
Fahrverbot abgewendet.
Warum ist der gefundene Fehler nicht von der Verkehrsfehlergrenze erfasst?
Weil er mit ihr überhaupt nichts zu tun hat.
Das Messgerät hat schlicht falsche bzw. schlechte Daten ausgewählt. Weil einem Algorithmus, der eine enorme Vielzahl an Fallgestaltungen abdecken soll, eben wesentlich schlechter gelingt, was ein Sachverständiger kann, der eine solche Selektion auf den individuellen Fall bezogen durchführt. Genau wie der Auswertebeamte bei Provida schlicht einen Fehler beim Auswählen des korrekten Messbeginns begangen hat.
Wir gelangen also zu einem neuen, eigenen Wert. Einem besseren (weil genaueren) Wert.
Damit haben wir eine von Hersteller und PTB unabhängige Untersuchung eines individuellen Falles durchgeführt.
Und nicht bloß – wie viele andere Sachverständige, insbesondere solche, die zu Fixpreisen arbeiten – die Einhaltung gewisser Vorgaben der Gebrauchsanweisung geprüft.
Was deckt die Verkehrsfehlergrenze im Gegensatz dazu dann überhaupt ab?
Die Fehler, die sich in den Rohmessdaten befinden. Abweichungen, die darauf basieren, dass das Messgerät eben nicht unter Laborbedingungen eingesetzt wird. Zulässige Schwankungen (z.B. von 1% beim ES3.0 bezogen auf den Abstand zwischen den Sensoren) im physischen Geräteaufbau und Ungenauigkeiten in der Aufstellung.
Was sie jedoch nicht abdeckt: Auswertefehler, egal ob sie von einem Messbeamten begangen werden (Provida) oder vom Messgerät selbst (ES3.0).
Andersherum: Nur, weil man andere Daten selektiert, ist eine Schwankung im Sensorabstand nicht plötzlich verschwunden.
Diese unterschiedliche Herangehensweise unterstreicht jedoch auch noch einmal die Notwendigkeit der Abspeicherung von Rohmessdaten.
Und wenn diese nicht gespeichert werden?
Dann bleibt immer noch der Unterschied in der Denkweise.
Auf der einen Seite wird die Auswertung eines (unbekannten und nicht prüfbaren) Algorithmus hingenommen und die Einhaltung von Vorgaben geprüft.
Auf der anderen Seite wird dieses Ergebnis auf Grundlage aller Erkenntnisse aus den Verfahren, die Rohmessdaten abspeichern (oder dies einmal taten), in Zweifel gezogen.
Wer findet wohl eher einen Fehler?
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